Eisen adé! - Eine Erstbearbeitung

Die 8-jährige Norikerstute Vicky wird mir am Telefon als „Herausforderung“ beschrieben. Sie ist seit einigen Wochen lahm - Befund: Spat. Ich frage nach, was es mit der „Herausforderung“ auf sich hat. Sie sei mit Vorsicht zu genießen, wird mir geantwortet. Es sei nicht auszuschließen, dass sie vorne beissen und hinten schlagen würde. Es wäre dringend nötig die Eisen zu entfernen, aber ob das überhaupt möglich sei, könne man mir nicht sagen. Als ich zu unserem Termin komme, habe ich vor allem eines mitgebracht: Zeit. Ich wollte mir ansehen, wie Vicky so drauf ist. Wie sie auf mich und mein Werkzeug reagieren würde. Ich wollte, dass Vicky und ich unsere erste Begegnung in guter Erinnerung behalten würden. 

 

Um es vorweg zu nehmen: Es war ein guter Termin. Für uns beide. Mich erwartete eine hübsche Rappstute mit langem Behang. Leider war wohl auch der letzte Beschlagstermin schon lange her - die Hufe waren noch mit Winterbeschlag versehen - Grips und Stollen mit Stiften. Die Hufe waren längst über den Eisenrand hinaus gewachsen. Zudem waren sie völlig schief abgelaufen. Die Eisen mussten definitv runter - am besten gestern. Also erstmal miteinander bekannt machen. Ein wenig misstrauisch beschnupperte mich Vicky, aber sie zeigte keinerlei Anzeichen von Agression. Auf meine vorsichtige Anfrage, ob sie mir einen vorderen Huf geben würde, kam eine schnelle Antwort. Sie wusste, was ich wollte. Das war ein guter Anfang. Ich antwortete höflich und schnell, aber ohne Hektik. Ein kurzes Lob, und den Huf wieder abstellen. Danach folgte ein ausgiebiges Lob. Die selbe Prozedur wiederholte ich auf allen vier Hufen. Vicky kaute zufrieden ab. Ich kommunizierte mit ihr und sie schien sichtlich erleichtert, dass man mit mir reden konnte. 

 

Pferde mögen es, wenn man ihnen zuhört.

 

Nach dem ersten Abchecken war klar, dass ihr Hauptproblem hinten rechts lag. Auf diesem Bein fiel es ihr schwer, Last aufzunehmen. Vorne links war die Gegenprobe ebenfalls positiv. Sie zeigte deutlich, dass sie diesen Huf nicht allzulange zu geben in der Lage war. Also ein paar Pausen mehr einlegen. Das ist kein Problem. Ich bin bei derart überständigen Hufen auch froh, wenn es Pausen gibt. Ich arbeite ohne Aufhalter. Das geht, auch bei bestmöglicher Haltung, ins Kreuz. Vorallem, wenn man an einem 800 kg Pferd arbeitet. Ich begann damit, die Nägel aufzubiegen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn ungeöffnete Nägel aus der Hufwand gerissen werden. Nicht nur, dass das Schaden anrichtet - es gehört sich für mich einfach zum „sauberen“ Arbeiten. Aufgebogene Nägel kann man relativ einfach ziehen, ohne am Huf mit gröberen Gewaltanwendungen hantieren zu müssen. Speziell ein Pferd, dass empfindlich reagiert, wird einem diesen extra Arbeitsschritt danken. Trotzdem bemerke ich dabei immer wieder, dass einzelne Pferde auf das Klopfen des Hammers reagieren - sie mögen es schlichtweg nicht. 

 

Manche Pferde zucken bei jedem Klopf-Geräusch am Huf zusammen.


An dieser Stelle möchte ich jeden einladen sich selbst zu  denken, wo diese Reaktion ihren Ursprung haben mag.

 

Nachdem ich alle 8 Nägel des ersten Huf ́s gezogen hatte, fiel das Eisen von selbst vom Huf. Vicky begann unmittelbar abzukauen. Das ist ein wichtiger Moment. Er bedeutet, dass ich in den allermeisten Fällen ein mitarbeitendes Pferd für die restlichen drei Hufe habe. So auch bei Vicky.

 

Nachdem die Eisen nun herunten waren, gab es eine kleine Pause für Vicky. Ich machte Fotos und begann damit, die Hufe „von außen zu lesen“. Man kann sich dabei einiger Hilfsmittel bedienen, eines der „bekanntesten“ ist sicher der Fesselstand. Aber auch verbogene Wände, ungleiche Ballen, Risse, Spalten, Zwangsituationen und der Hufwinkel fliessen in diese Beobachtugen mit ein. An der Sohle liegt mein Hauptaugenmerk auf den Strahlfurchen, dem Strahl selbst, dem sichtbaren Zerfallshorn, auf Auffälligkeiten wie Fäulnis oder Pilzbefall des Horns. Auch eventuelle Fehlstellungen werden berücksichtgt, die Stellung allgemein und nicht zuletzt sehe ich mir nun das Pferd im Schritt und wenn möglich auch im Trab an, um mir einzuprägen, wie das Pferd vor der Bearbeitung geht. 

 

 

Vicky ́s rechter Hinterhuf nach der Eisenabnahme - vor der Berabeitung. Hebelnde Wände, Abrollpunkte jenseits von Gut und Böse. Der Huf sieht aus wie ein toter Klumpen Horn.
Vicky ́s rechter Hinterhuf nach der Eisenabnahme - vor der Berabeitung. Hebelnde Wände, Abrollpunkte jenseits von Gut und Böse. Der Huf sieht aus wie ein toter Klumpen Horn.
Vicky ́s rechter Hinterhuf nach der Erstbearbeitung. In nur einem Arbeitsgang konnte der Huf von hebelnden Hufwänden befreit werden, die Zehe wurde deutlich eingekürzt. Das beste aber: Vicky kann deutlich besser gehen!
Vicky ́s rechter Hinterhuf nach der Erstbearbeitung. In nur einem Arbeitsgang konnte der Huf von hebelnden Hufwänden befreit werden, die Zehe wurde deutlich eingekürzt. Das beste aber: Vicky kann deutlich besser gehen!

Dann beginnt das eigentliche Bearbeiten.


Vicky war inzwischen überaus umgänglich. Dank Fellwechsel und juckenden Stellen im Mähnekamm hatte ich eine wunderbare Möglichkeit gefunden, mich bei der Stute für ihre Mitarbeit zu bedanken. Immer wieder gab es ein Mähnekraulen zwischendurch, das Vicky mit gespitzten Lippen sichtlich genoss. Trotz massiv zu langen Hufen und entsprechend langwieriger Bearbeitung hatte ich so ein Pferd an meiner Seite, dass während der Bearbeitung geduldig mitmachte. Zum Erstaunen aller Umstehenden war Vicky vollkommen entspannt und ließ sich sogar mit einem kurzen Pfiff dazu ermuntern, den Huf noch ein wenig zu halten, wenn ich ihr nicht schnell genug war und sie wieder mit allen Vieren fest auf dem Boden stehen wollte.


Wie zu erwarten war der Huf voller Zerfallshorn. Bei einer Erstbearbeitung nach Eisenabnahme, speziell wenn davor noch Grips am Huf waren (und das so lange), ist das „normal“. Es gilt jedoch zu beachten, dass es nicht immer sinnvoll ist, alles an Zerfallshorn bei solch einem Termin auch zu entfernen. Je nach Sohlenstärke kann es durchaus angebracht sein, Schichten von Zerfallshorn am Huf zu belassen, die sich das Pferd dann selbst herunterläuft. In Vicky ́s Fall war allerdings die Sohlenstärke ausreichend gegeben, zudem versteckte sich unter einer Menge fauligem Horn eine erstaunlich ausgeprägte Wölbung, sodass ich dem Entfernen des faulen und auch völlig verpilzten losen Hornmaterials den Vorzug gab.

 

Anschließend hatte ich auf jedem Huf einen gut 2,5 bis 3 cm hohen Tragrandüberstand, der mit Zange eingekürzt wurde. Dabei achtete ich penibel darauf, den Huf nicht asymetrisch zu kürzen. Ein „Verwzicken“ mit der Zange kann eine Disbalance in den Huf bringen, die man mit der Raspel nicht mehr korrigieren kann, ohne den Huf zu sehr zu kürzen. Überhaupt ist es ganz, ganz wichtig(!) seine Arbeit ständig zu überprüfen. Ist der Huf gut ausbalanciert? Habe ich auf beiden Seiten gleich viel Material abgenommen? Wie jeder Mensch bin auch ich mit einer Hand stärker - das verleitet auf der „bevorzugten“ Seite mit mehr Druck zu arbeiten als auf der schwachen Hand.


Die Eckstreben waren eine besondere Herausforderung. Durch den viel zu langen Beschlagsintervall haben sich diese mit der Zeit unter das Eisen geschoben und sich dort stark komprimiert. Da der Strahl selbst voller Abszesse und Fäulnis war, kürze ich in einem solchen Fall eigentlich ungern im Ersttrim die Eckstreben. Sie können, vor allem in den ersten Tagen der Umstellung auf barhuf, den angegriffenen Strahl „aus der Last“ nehmen und dem Pferd die Umstellung so deutlich erleichtern. 

 

Vicky ́s linker Vorderhuf nach der Eisenabnahme - vor der Berabeitung. Deutlich sieht man, wie sich unter den Grips Fäulnis ausbreiten konnte (schwarz). Auch der Strahl selbst ist unter der ersten Schicht von Fäulnis zerfressen.
Vicky ́s linker Vorderhuf nach der Eisenabnahme - vor der Berabeitung. Deutlich sieht man, wie sich unter den Grips Fäulnis ausbreiten konnte (schwarz). Auch der Strahl selbst ist unter der ersten Schicht von Fäulnis zerfressen.
Vicky ́s linker Vorderhuf nach der Erstbearbeitung. Als rote Flecken erkennbare Blutergüsse, die das eingewachsene Eisen an den darunter komprimierten Eckstreben verursacht hat.
Vicky ́s linker Vorderhuf nach der Erstbearbeitung. Als rote Flecken erkennbare Blutergüsse, die das eingewachsene Eisen an den darunter komprimierten Eckstreben verursacht hat.

In Vicky ́s Fall jedoch übten die Eckstreben einen starken Druck auf die Sohle und das nachkommende Eckstrebenmaterial aus, sodass ich mich entschied diese deutlich zu kürzen. In solchen Fällen lasse ich zwischen der Bearbeitung das Pferd gerne „testen“, wie sich das Entfernen anfühlt. Nur wenn es besser auf den gekürzten Eckstreben geht, als vor dem Einkürzen, nehme ich auch am nächsten Huf die Eckstreben heraus. Verschlechtert sich das Gangbild, lasse ich an den anderen Hufen die Eckstreben höher oder kürze eventuell gar nicht.

 

Jedes Pferd ist ein Individuum.


Ich kann nicht oft genug betonen, dass man auch beim Bearbeiten der Hufe individuell vorgehen muss. Was bei einem Pferd toll funktioniert, kann das nächste lahm machen. Sogar was bei einem Huf angebracht ist, kann beim nächsten ein Zuviel sein. Erfahrung und die Bereitschaft ständig dazu zulernen sind unumgänglich, um eine gute Arbeit am Huf zu leisten.

Natürlich kann es sein, dass schon allein das Entfernen des Eisens den gewünschten Effekt gebracht hätte - nämlich dass das Pferd deutlich besser ging. Die Hauptsache für mich war jedoch, dass das Pferd besser ging, dabei sichtlich guter Laune war und ich noch drei weitere Hufe zu bearbeiten hatte, die ich nun voller Zuversicht anging.


Tatsächlich kamen unter den gekürzten Eckstreben deutliche Blutergüsse zum Vorschein. Ich frage mich oft, ob sich Pferdebesitzer dessen bewusst sind, wenn sie ihre Pferde beschlagen lassen.

 

Aufklärung tut Not - gerade dann, wenn ich auch noch Leistung von meinem Vierbeiner erwarte. In meiner Arbeit werde ich mit unzähligen Hufen konfrontiert, die voll von Blutergüssen, Abszessen und Zwangsituationen sind. Pferde sind ihrer Natur nach Fluchttiere - sie sind die mögliche Beute. Es gehört zu ihrem natürlichen Verhalten, Schmerzen nicht zu zeigen - ein Pferd das lahmt wird nämlich vom Beutegreifer als leichte Beute ausgemacht. So - und nur so - kann ich es mir erklären, dass so viele Pferde noch lahmfrei gehen, obwohl ihre Hufe oft ein Bild des Schmerzes offenbaren.


Magengeschwüre, Verdauungsprobleme, stumpfes Fell, Leistungseinbrüche, zu wenig Muskelaufbau,Taktunreinheiten, Unrittigkeit, schwieriger Charakter... all das sind Dinge, die Pferdebesitzer beschäftigen. Einem Pferd aber Eisen an alle vier Hufe zu nageln, das wird immer noch als völlig normal betrachtet. Und immer noch findet man die Qualität des Beschlag ́s oft darin begründet, dass die Eisen möglichst lange am Huf halten.


Unsere Vicky hat nun keine Eisen mehr. Im letzten Arbeitsschritt habe ich ihre Tragränder berundet, um ein Ausbrechen der Hufwände zu verhindern und um ihr das Abrollen zu erleichtern. Die ungleichen Zehenlängen der hinteren Hufe sind angeglichen worden, die Bearbeitung hat Vicky ́s Stockmass mit Eisenabnahme um gute 5 Zentimeter nach unten gebracht.

Unter den Augen der Tierärztin wurde das Pferd im Schritt und im Trab auf Asphalt vorgeführt - und lief nahezu taktrein!


Und nach einer letzten Einheit Mähneschrubbeln ging es ab auf die Koppel - wo sich die Stute buckelnd und furzend bei mir bedankt hat. Diese Momente sind es, die mir ins Bewusstsein rufen, wie sehr ich meine Arbeit mag. :)

           

Vicky ́s linker Hinterhuf nach Eisenabnahme - vor der Bearbeitung. In der hinteren Aussenwand hat der Huf der Belastung nicht mehr stand gehalten. In dem entstandenen Hornspalt hat sich Fäulnis eingenistet.
Vicky ́s linker Hinterhuf nach Eisenabnahme - vor der Bearbeitung. In der hinteren Aussenwand hat der Huf der Belastung nicht mehr stand gehalten. In dem entstandenen Hornspalt hat sich Fäulnis eingenistet.
Vicky ́s linker Hinterhuf nach der Erstbearbeitung. Der Spalt wurde ein wenig geöffnet damit ausreichend Luft dazu kommt. Dieser Arbeitsschritt genügt oft, um die Fäulnis in den Griff zu bekommen.
Vicky ́s linker Hinterhuf nach der Erstbearbeitung. Der Spalt wurde ein wenig geöffnet damit ausreichend Luft dazu kommt. Dieser Arbeitsschritt genügt oft, um die Fäulnis in den Griff zu bekommen.

Text und Fotos: Kata Ragg