Huferkrankungen Teil 1: Der Zwanghuf

Einer der häufigsten Gründe, warum um meine Dienste gebeten wird, ist das Vorliegen eines Problems. In der Regel zeigen die Pferde zu dem Zeitpunkt, an dem ich sie kennen lerne, irgendwelche Symptome einer Erkrankung. Und zwar nahezu alle.

 

Zeigt das Pferd Taktunreinheiten oder gar deutliche Lahmheiten, geht es für mich in erster Linie darum, einen "gemeinsamen Weg" zu finden, der beim Ist-Zusatnd des Pferdes beginnt und dessen Ziel ein verbesserter Zustand ist. Je nachdem, welche Ursachen und Schäden vorliegen (und wie hoch die Bereitschaft ist, sich auf den Weg zu machen! ), kann es entweder zu einer völligen Genesung, einer Symptomfreiheit oder zu einer akzeptablen Verbesserung kommen, manchmal aber leider auch zu der Erkenntnis, dass es wohl besser wäre, das Tier zu erlösen.

 

Manchmal ist den Pferdebesitzern jedoch gar nicht bewusst, dass bereits Schädigungen vorliegen. Das ist zum Beispiel oft der Fall, wenn kein Eisen mehr am Huf hält, das Pferd aber ohne Eisen schlecht läuft. Ich werde dann als "Barhuf-Profi" gerufen, um dem Pferd das Barhuflaufen zu ermöglichen. Schließlich ist es das, was ich anbiete.

 

Kata at work - schließlich ist es das, was ich anbiete.
Kata at work - schließlich ist es das, was ich anbiete.

 

Die Erwartungshaltung in solchen Situationen ist für mich schwer bis gar nicht zu erfüllen. Und zwar immer dann, wenn mit einer(!) Bearbeitung das Problem behoben sein soll. Nicht nur, dass dieser Fall selten eintritt - ich mache mich in noch einem weiteren Punkt sehr unbeliebt.

 

Nämlich immer dann, wenn ich einem solchen Pferdebesitzer erklären muss, dass sein Pferd eigentlich krank ist. Zum einen bin ich oft die Erste, die das "behauptet". Und zum zweiten - ganz ehrlich - wer macht sich schon beliebt, wenn er eine Hiobs-Botschaft übermittelt?

 

Es ist manchmal ein Kampf gegen Windmühlen, und dabei will ich gar nicht kämpfen! Also bin ich bemüht, durch Aufklärung eine Einsicht beim Pferdebesitzer zu erreichen. Ich brauche nämlich den Pferdebesitzer an meiner Seite, wenn ich dem Pferd helfen soll. Und dieser muss verstehen was los ist, denn ohne Verständnis keine Einsicht, und ohne Einsicht keine Besserung.

 

Ich möchte daher zunächst einmal darüber aufklären, was für mich ein kranker Huf - und in der Folge ein krankes Pferd - ist.

 

Beginnen wir mit einer Hufsituation, die nicht nur extrem häufig anzutreffen ist, sondern mindestens ebenso häufig nicht als krankhaft empfunden wird:

 

Dem Zwanghuf.

 

Passende Synonyme zu dem Wort Zwang in Zwanghuf wären noch Druck, Gewalt, Muss, Nötigung, Terror, Unterdrückung, Joch oder Diktat. Alle diese Worte lösen eine - durchaus berechtigte - negative Assoziation bei uns aus. Wir sollten eine Zwangsituation im Huf niemals als "normal" hinnehmen. Leider sind Zwanghufe aber so häufig anzutreffen, dass sie oft als Norm gesehen werden. Das geht soweit, dass sogar für Produkte, die der Hufgesundheit dienen sollen, Zwanghufe als Beispiel gesunder Hufe eingesetzt werden!

 

 

Werbesujet für Hufgesundheit - doch die abgebildeten Hufe sind definitiv NICHT gesund! Oft  zu sehen sind sie leider dennoch - die abgebildeten Hufe weisen deutliche Zwangsituationen auf.
Werbesujet für Hufgesundheit - doch die abgebildeten Hufe sind definitiv NICHT gesund! Oft zu sehen sind sie leider dennoch - die abgebildeten Hufe weisen deutliche Zwangsituationen auf.

Wie definiert sich ein Zwanghuf? Warum ist er ein Indiz für einen kranken Huf? 

 

Um diese Fragen zu beantworten, muss ich ein klein wenig ausholen. Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass der Huf nicht einfach ein Hornblock ist, der am Ende des Beins vor sich hinwächst. Der für uns sichtbare Teil des Hufes ist eine Kapsel, in welcher sich verletzliche Teile befinden, innere Strukturen, die durch das sie umschließende Horn geschützt werden. Diese Strukturen sind von verschiedener Konstistenz. Im vorderen Bereich befindet sich eine knöcherne Struktur, das Hufbein, während der hintere Bereich des Hufes mit einem wesentlich flexibleren Innenleben ausgestattet ist. Dazu zählen das Strahlpolster und die Hufknorpel. Die Flexibilität dieser Strukturen dient dazu, sich bei Lastaufnahme auseinander zu bewegen - der Huf kann sich also vorallem im hinteren Bereich dehnen. Unter Null-Last zieht sich der Huf wieder in seine ursprüngliche Form zusammen. Diese Verformbarkeit der Hornkapsel wird in seiner Gesamtheit auch als Hufmechanismus bezeichnet.

 

Die Verformbarkeit, vorallem der "flexiblen" Bereiche, macht den Huf aber auch anfällig für "Deformationen". Wird die Hornkapsel in ihrer Verformbarkeit eingeschränkt (zum Beispiel durch einen Beschlag, aber auch durch eine falsche oder ungenügende Hufbearbeitung), kommt es bei Lastaufnahme zu einer Quetschung der inneren Strukturen, da die sie umgebende Hornkapsel sich nicht genügend ausweitet. Die "Zusammen-Quetschung" der inneren Strukturen führt über kurz oder lang zu einer Zwangsituation.  Dies kann den Ballen betreffen, die Trachten, den Strahl, manchmal auch den Kronrand und sogar das Hufbein kann sich deformieren, wenn es dauerhaftem Druck ausgesetzt ist. Meist sind mehrere, wenn nicht alle Strukturen betroffen. 

 

Die typische Form eines Zwanghufes (Sohlenansicht) ist meist längs-oval bis birnenförmig. Der Strahl ist in den meisten Fällen stark verkümmert, Strahlfäule ist ein typischer Begleiter. Durch die Quetschung des Ballens wird die mittlere Strahlfurche so sehr zusammengepresst, dass sich an Stelle der offenen Furche eine tiefe Falte bildet, in der sich Fäulnisbakterien so richtig wohlfühlen. Diese Falte reicht oft bis in den Ballen. Die Trachten sind unterschoben. Ist der Huf sehr flach, kommen zur Zwangsituation erschwerend eine meist sehr dünne Sohle und kollabierende Hufwände dazu. Wer sein Auge für unterschiedliche Zwangsituationen am Huf schulen möchte, dem empfehle ich unter dem Begriff "Zwanghuf" zu googeln. Wer das "live-Erlebnis" vorzieht, möge einfach in den nächsten größeren Reitbetrieb oder auf ein Turnier fahren, und den Pferden dort auf die Hufe sehen.

 


Hufe mit Zwängen können unterschiedlich aussehen - in allen Fällen aber haben sie einen stark gequetschten Ballen und Strahlbereich. An Stelle der mittleren Strahlfurche findet sich eine Falte, die sich oft bis in den Ballenbereich hineinzieht.

 

Ist dem Huf die Zwangsituation von außen bereits anzusehen, darf man sich sicher sein, dass die inneren Strukturen ebenfalls deformiert sind. 

Das bedeutet im Konkreten, dass die inneren Strukturen ihre eigentlichen Aufgaben nur mehr unzureichend, wenn überhaupt, erfüllen können. Die Folgen sind: Eine ungenügende Stossdämpfung, eine ungenügende Durchblutung und eine Überbelastung der Gelenke, Sehnen und Bänder.

 

Allein eine unzureichende Durchblutung hat folgenschwere Auswirkungen: Eine Mangelversorgung der inneren Strukturen mit Sauerstoff und Nährstoffen kann zu einem Absterben von Gewebe führen! Auch unzureichend mit Blut versorgtes Knochenmaterial baut sich ab! (Hufrolle!) Wenn man bedenkt, dass in einem nicht korrekt funktionierenden Huf auch die stossdämpfende Wirkung des Hufapparates geschwächt ist, dabei gleichzeitig aber oft noch Leistung vom Pferd abverlangt wird, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass irgendwann eine Diagnose erfolt, die als schwierig oder überhaupt nicht mehr heilbar gilt. Die Tatsache, dass so eine Diagnose den Pferdebesitzer oft völlig überraschend trifft, zeigt, dass diese Informationen nicht - oder nur ungenügend - bekannt sind. 

 

Wie kommt es, dass Pferde mit Zwanghufen manchmal lahmfrei sind?


Durchblutungsstörungen bleiben beim Pferd oft lange Zeit unbemerkt. Zum einen ist das darauf zurückzuführen, dass dieser Prozess - vor allem in den Hufen - schleichend passiert. Man kennt das von sich selbst: Eine Krankheit, die sich schleichend ausbreitet, wird erst viel später wahrgenommen, als eine Krankheit, die plötzlich und akut eintritt. Zum anderen wird angenommen, dass das Absterben von Nervengewebe dafür verantwortlich ist, dass viele Pferde keine Schmerzsymptome zeigen. Vom Menschen weiss man, dass mangelnde Durchblutung in den Gliedmaßen oft zu einem Taubheitsgefühl führt. Ich persönlich kenne unzählige Pferde, die durch ständiges Stolpern auffallen.... ob all diese Pferde wirklich "nur ungeschickt" sind?

 

Als sicheres Anzeichen einer mangelhaften Durchblutung im Huf darf man einen "kalten" Huf sehen. Ein gesunder Huf fühlt sich warm an! Immer noch glauben viele Pferdebesitzer, dass ein warmer Huf ein Krankheitszeichen ist - während ein kalter Huf als normal angesehen wird.

Richtig ist lediglich, dass ein Huf, in dem ein entzündlicher Prozess stattfindet, deutlich wärmer ist, als ein gesunder Huf.  (Auch zu wenig Bewegung bzw. lange Stehzeiten können Ursache einer mangelnden Durchblutung sein!)

 

Wie behandle ich einen Zwanghuf?

 

Wie immer gilt es zunächst einmal die Ursache für den Zwang abzustellen. Wenn das Pferd beschlagen ist, muss das Eisen runter. Es verhindert oft, dass der Huf sich genügend weiten kann. Wenn das Pferd unbeschlagen ist, liegt entweder eine falsche oder mangelnde Hufbearbeitung zu Grunde oder ein gravierender Bewegungsmangel. Auch Bewegung oder Haltung auf ausschließlich harten, flachen Untergründen kann zu Zwanghufen führen. Der Huf muss ordentlich bearbeitet werden. Material, dass zuviel ist, muss zwingend entfernt werden, da es die Verformbarkeit der Hufkapsel einschränkt. Umgekehrt darf bei einem Huf, der ohnehin schon zu wenig Material hat, auf gar keinen Fall zu viel weggenommen werden! Jeder Huf ist also individuell zu betrachten und entsprechend zu bearbeiten!

 

Fehlstellungen müssen bei der Bearbeitung genauso berücksichtigt werden wie die Untergründe, auf denen das Pferd hauptsächlich läuft oder gehalten wird. Große Erfolge erziele ich immer wieder mit Hufschuhen und Einlagepads! Hier gilt es auszuprobieren, womit das Pferd am besten läuft, es gibt kein Patentrezept. Außerdem kann man mit einer ausgewogenen Ernährung sowie Kräutern, Homöopathie oder im schlimmsten Fall auch mit Schmerzmitteln den Prozess unterstützen.

 

Da viele Pferde mit Zwanghufen auch unter Strahlfäule leiden, gehört auch diese behandelt. Oft ist es so, dass die Strahlfäulnis von selbst verschwindet, wenn der Zustand des Hufes sich bessert - aber das kann dauern! Um dem Pferd das Leben zu erleichtern, kann und sollte man Strahlfäule daher begleitend mitbehandeln. Ich bin kein Freund von all zu "scharfen" Mitteln. Man muss sich immer bewusst sein, dass viele Mittel zwar Bakterien abtöten, aber auch gesundes Material angreifen. Und gerade davon hat man in einem von Fäulnis angegriffenem Zwanghuf ohnehin zu wenig! Ich persönlich verwende am liebsten Lebermoos-Extrakt, da es das gesunde Gewebe nicht angreift und dennoch den Bakterien und Pilzbefall sehr gut eindämmt.  Bei manchen Dingen, die Pferdebesitzer in die oft bis tief ins Leben reichenden Furchen und Falten spritzen, stellt es mir die Haare auf! 

 

Immer wieder werde ich gefragt, was ich von Hufteer halte. Ich habe persönlich nichts gegen Hufteer - solange er nicht an Hufen klebt. Hufteer "verschließt" den Huf - das klingt erstmal super. Es soll ja kein Dreck drunter rein. Da der Huf aber niemals ohne Dreck ist - auch nicht, wenn er noch so sauber geputzt ist, schließe ich bei einer Anwendung mit Hufteer auch Bakterien mit ein. Nachdem die Säuren sich verflüchtigt haben (nach außen oder in die Blutbahn - hurra, die Gams!) freuen sich diese eingeschlossenen Bakterien ganz besonders! Denn ohne Sauerstoff haben es anaerobe Bakterien erst so richtig schön. Einigen Studien zufolge ist Hufteer wohl auch ziemlich krebserregend. Mir persönlich sind mehr Pferde bekannt, die aufgrund von Lahmheiten erlöst wurden, als in Folge von Krebs, aber es macht die Sache trotzdem nicht sympatischer. 

 

Wer es genauer wissen will - hier findet ihr ein nettes Datenblatt zum Produkt Buchenholzteer. 

 

Strahlfäule in einem Zwanghuf, die sich bis tief in den Ballen zieht. Bitte in solchen Fällen keinesfalls zu "scharfen" Mitteln greifen!
Strahlfäule in einem Zwanghuf, die sich bis tief in den Ballen zieht. Bitte in solchen Fällen keinesfalls zu "scharfen" Mitteln greifen!

Abschließend möchte ich auf die Heilungserfolge bei Zwanghufen eingehen. In den allermeisten Fällen stellt sich innerhalb einer relativ kurzen Zeit nach Beseitigen der Ursache eine deutliche Entspannung der Situation ein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich das gequetschte Innenleben der Hornkapsel wieder "entfalten" kann. Oft haben sich Ballen und Strahl schon innerhalb weniger Wochen, manchmal sogar innerhalb weniger Tag deutlich geweitet. Gleichzeitig beginnt von innen heraus eine Heilung der von der Fäulnis angegriffenen Teile. Manche Pferdebesitzer erschrecken darüber sehr, weil oft erst jetzt sichtbar wird, wie großflächig und weit hineinreichend die Fäulnis war. 

 

 


Stark gequetschter Huf eines Vollblüters - links am Tag der Eisenabnahme (stand auf Eisen mit Keilen). Rechts der gleiche Huf 2 Monate später. Das Pferd konnte nach der Eisenabnahme kaum gehen. Mit Hufschuhen und Einlagen wurde eine Lösung gefunden, die es dem Pferd ermöglichte von Tag 1 an gut zu gehen. Dem Engagement der Besitzerin war es zu verdanken, dass das Pferd zwei Monate später auch ohne Hufschuhe gut unterwegs war. Deutlich zu erkennen ist , wie sehr der Ballenbereich sich geweitet hat. Die mittlere Strahlfurche hat sich eröffnet. Die Hufform ist runder geworden. Die Trachten haben sich aufgerichtet. Der Huf hat im Bereich der Strahlspitze Horn über die Sohle geschoben, das den zu schwachen Bereich unter dem Hufbein unterstützt.


Zwischen diesen beiden Bildern liegen nicht einmal 4 Wochen. Das Pferd hatte keine "typischen" Zwanghufe. Ich wurde wegen Stellungsproblemen geholt. Schön zu sehen, wie sehr sich gerade der Ballenbereich in dieser kurzen Zeit geweitet hat. Die mittlere Strahlfurche hat sich geöffnet und beginnt von innen heraus zu heilen. Die Strahlfäule war bis zum Tag der Eisenabnahme kein Thema gewesen.

Dann aber ist es oft so, das es nach einem anfänglichen Erfolg zu einem scheinbaren Stillstand kommt. Obwohl der Huf immer noch nicht die optimale Form aufweist, scheint sich nichts mehr zu tun. Das liegt daran, dass die äußere Form immer der inneren folgt. Wenn die inneren Strukturen ihre maximale Stärke erreicht haben, ist einfach Schicht im Schacht. Bei einem Huf, der lange Zeit krank war, muss man damit rechnen, dass es zu dauerhaften Schäden gekommen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich zum Beispiel das Hufbein deformiert hat, ist ziemlich groß. Aber auch die Lage der Hufknorpel kann sich verändert haben und das Strahlpolster ist in den meisten Fällen nicht sehr stark ausgeprägt. So gesehen ist an irgendeinem Punkt die Zeit der großen Veränderung einfach abgeschlossen. Sehr viele Pferde kommen damit gut zurecht, und es kann sein, dass sich im Laufe von weiteren Monaten oder Jahren die Form doch noch verändert, aber eben nicht mehr so deutlich sichtbar wie zu Beginn.

 

Es ist nie zu spät, eine Situation zu verbessern. Aber - wie immer- bedarf es zuerstmal der Einsicht, dass eine Situation verbesserungswürdig ist. Ich begegne täglich vielen Pferdebesitzern, die nur das Beste für ihr Pferd wollen. Und dennoch begegne ich täglich vielen Pferden, die weit weg vom Besten sind. Und in sehr vielen Fällen ist der Grund dafür die schlichte Unwissenheit der Pferdebesitzer. Sie verlassen sich auf das Wissen von Fachleuten, die ihnen doch sagen würden, wenn etwas im Argen liegt. Und doch bin ich manchmal die Erste, die sich unbeliebt macht....

 

 

Text & Bilder: Kata Ragg