Auch Senioren haben Rechte...

... zum Beispiel auf eine gute Hufbearbeitung. Und sie danken es einem oft ganz besonders. Wie im heutigen Fall. Darf ich vorstellen? Minka und Lisa, zwei betagte Stuten im Ruhestand. Ich wurde gebeten, der 27-jährigen Haflingerdame Lisa die Hufeisen zu entfernen. Außerdem sei die 32-jährige Minka ebenfalls auszuschneiden. Gerne. Ich freu mich immer, wenn ich "besondere" Pferde treffe, und Pferde in diesem Alter sind bei uns schon etwas besonderes. 

Beide Pferde werden nicht mehr geritten. Sie leben ganzjährig im Offensatll mit Weideanschluss, Wasser kommt direkt aus einer Quelle, riesige Bäume sorgen in den heissen Sommermonaten für ausreichend Schatten. Im dreiseitig geschlossenen Unterstand ist eine Heuraufe montiert, die immer gefüllt ist. Das klingt alles gut soweit. 


Trotzdem ist der Zustand der Pferde nicht so gut, wie er sein könnte. Zur Verteidigung der Besitzerin muss ich sagen, dass Lisa erst seit zwei Wochen in ihrem Besitz ist. Das Pferd ist mager. Sehr mager.

 

 

"Ja", könnte man jetzt sagen, "ein Pferd in diesem Alter ist nunmal nicht mehr in der Lage, das Futter so zu verwerten wie ein jüngeres Semester". Aber ganz ehrlich: Der mangelnde Ernährungszustand von Lisa ist nicht von jetzt auf gleich passiert. Dieses Pferd hat entweder über eine relativ lange Zeit zu wenig zu Fressen bekommen, oder sie kann schon seit längerer Zeit das Futter nicht mehr ordentlich verwerten - sei es aufgrund schlechter oder fehlender Zähne  (was ich vermute) oder aufgrund von Verwurmung oder Verdauungsproblemen - ja selbst wenn einfach die Verstoffwechselung nicht mehr so gut funktioniert, kann man entsprechend reagieren. Ich vermute eine Vernachlässigung in der gesamten Pferdepflege, die sich auch am Zusatnd der überfälligen Hufe wiederspiegelt. Wir haben Ende April - ich schätze, dass die Eisen Ende Sommer letzten Jahres aufgenagelt wurden. Es ist kein Winterbeschlag. Das Pferd wurde angeblich vom Vorbesitzer noch gefahren. Den Winter über sei sie im Freien gestanden, Wasser sei ihr nur jeden zweiten Tag gebracht worden.

 

Versteht mich nicht falsch, ich will hier niemanden anprangern. Aber bei solchen Aussagen denk ich mir meinen Teil. Ich denke mir, dass die gute Lisa das nicht verdient hat. Bestimmt hat sie viele Jahre ihren Dienst verrichtet, und ich vermute, dass sie das richtig gut gemacht hat. Die alte Dame ist ausgeprochen freundlich, mitmachend und gesittet. Sie weiss, wie man sich zu benehmen hat. Jedes ihrer Gelenke knackst und kracht beim Heben eines Hufes, und dennoch muss man bei keinem Huf zweimal bitten. "Jawohl -sofort -bitteschön" beschreibt die Einstellung, die dieses Pferd mitbringt. Irgendjemand hat sich irgendwann demnach auch viel (und gut) um dieses Pferd gekümmert, denn von nix kommt auch nix. Aber dann muss irgendetwas geschehen sein, und Lisa geriet ein bisschen in Vergessenheit. Vielleicht erkrankte der Vortbesitzer, oder er verstarb, ich weiss es nicht. Jetzt jedenfalls lebt sie hier im Offenstall und hat immer frisches Wasser und Heu so viel sie fressen will, und Gras, das sie dem Heu vorzieht. Und seit heute hat sie keine Eisen mehr.

 

 



 

Dieses Pferd hat kerzengerade Beine und ein sehr gutes Hornmaterial. Ohne Probleme konnten die Hufe in eine gute Form gebracht werden, die dem Pferd das Gehen sehr erleichtern. Eine Umstellung auf barhuf hat keine Altersbegrenzung. Die Abnutzungserscheinungen der Gelenke sind da, keine Frage, aber Lisa darf ja nun ihren wohlverdienten Ruhestand genießen. Ich habe der Besitzerin zugeraten, die Zähne machen zu lassen. Ob dieser Rat angenommen wird, kann ich allerdings nicht sagen. Denn man merkt schon, dass es eine gewisse Hürde ist, "Geld" in ein altes Pferd zu stecken. Nur leider sind es eben gerade die Alten, die eine Sonderbehandlung benötigen. 

 

 

 

Minka ist das zweite Pferd des heutigen Tages. Mit ihren 32 Jahren sieht sie um einiges jünger aus als Lisa, was wohl vorallem am guten Ernährungszustand liegt. Sie ist schon fast ein wenig übergewichtig, aber alles noch im grünen Bereich. Im Gegensatz zu Lisa hat Minka dafür deutliche Probleme mit dem linken Hinterbein. Ich vermute starke Arthrosen, eventuell Spat in einem akuten Schub, da es ihr sehr schwer fällt, dieses Bein zu beugen, und nach hinten raus strecken kann sie es gar nicht. Sie mag auf dem linken Hinterbein auch keine Last aufnehmen, entlastet es so oft es geht.

 

 

Die Hufe selbst sind in einem katastrophalen Zustand, und wieder ist es nicht das Hornmaterial, das zu bekriteln wäre. Es ist der Bearbeitungsintervall, der schlicht viel zu lang ist. Bei einem alten Pferd wachsen die Hufe mindestens genauso schnell wie bei einem jungen - dennoch werden die Intervalle der Bearbeitung in die Länge gezogen, weil die Kosten einer Hufbearbeitung gescheut werden. Dass dabei gesundheitliche Schäden und daraus resultierende Tierarztkosten entstehen können, die weit höher als die eingesparten Hufbearbeitungstermine sind, ist den Pferdebesitzern oft nicht bewusst. Den Pferdebesitzern ist oft nichtmal bewusst, dass überhaupt Schäden entstehen können, wenn die Hufe nicht regelmäßig bearbeitet werden.

 

Minka´s Hufe zeigen aber ganz deutlich, was passiert, wenn der Intervall zu lange gewählt wird. Sie steht hinten ein wenig zeheneng (eingedreht), was wiederum dazu führt, dass sich diese Stellung bei Nicht-Korrektur verstärkt. Mit der Zeit sind die überständigen Tragränder aufgrund der verschieden hohen Belastung "umgekippt". Die Aussenwände an den Hinterhufen haben sich auf die Sohle gelegt, die Innenwände hebeln von der Sohle weg. Minka "geht" wie auf Stelzen - sie fühlt den Boden nicht mehr, auf dem sie sich bewegt. Zusätzlich belastet diese Huf-Situation die ohnehin schon angegriffenen Gelenke.

 

 


 

Nach der Hufbearbeitung ist die Situation deutlich entspannt. Ich betone, dass die Hufe in spätestens 8 bis 10 Wochen unbedingt wieder bearbeitet werden sollten! Eigentlich in noch kürzeren Abständen, da die Fehlstellung einer häufigeren Korrektur bedarf. Und ja: Das bedeutet unter Umständen einen (finanziellen) Mehraufwand. Pferdehaltung kostet nunmal - zumindest wenn man sie verantwortungsvoll betreibt. Auch ein Gnadenbrotpferd hat Bedürfnisse, kostet Zeit, Geld und andere Aufwendungen. In diesem Sinne hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen mit den zwei Damen, die mir heute als ganz besondere Pferde den Tag versüßt haben.

 

 

 

Text und Fotos: Kata Ragg

 

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